Der will nicht nurspielen: Die Datenbrilleist ein spannendes Toolfür viele Industrien.
Weitblick. Künstliche Welten alsJobmotor im „echten“ Leben: Dassteigende Interesse vonUnternehmen an Virtual undAugmented Reality schafft eine neueSpielwiese für IT-Fachkräfte.
Text: Christian Prenger
Nelly Dux, Master-Absolventin der International School of Management inHamburg, wollte in einer Studie herausfinden, ob Virtual Reality (VR)Hilfsorganisationen dabei unterstützen kann, potenzielle Spender zuüberzeugen. Dazu beäugten Probanden Greenpeace-Werbefilme in 2-Dam Rechner und in 3-D mit VR-Brille. Das Experiment erwies sich als Bör-senöffner. „Teilnehmer mit einer VR-Brille waren gegenüber der Organisa-tion positiver gestimmt. Die Themen werden dadurch noch greifbarer, weilwir uns als Zuschauer quasi mitten im Geschehen befinden. Das hatgleichzeitig die Spendenbereitschaft erhöht“, so Dux.
Virtual und Augmented Reality (AR), die Erweiterung der realen Wahrneh-mung durch Zusatzinformation in einer Datenbrille, motivieren keines-wegs nur sozial engagierte Personen. Unternehmen unterschiedlicherBranchen zeigen steigendes Interesse am „Next Big Thing“, wie es dieManagementberatung PwC feiert. Dort ortet Expertin Gersa Tome dahergehöriges Potenzial: „Es gibt viele Anwendungsfälle in Industrien wie Au-tomobil, Immobilien, Bildung, Handel oder Tourismus.“ Der Einstieg in dieCyberwelt soll jedenfalls dazu verhelfen, sich von der Konkurrenz zu diffe-renzieren, neue Geschäftsmodelle zu begründen und das Image als Tech-Vorreiter zu streicheln.
Rare Experten
Der Trend schafft aussichtsreiche Jobchancen für Leute mit entsprechen-dem Know-how. Schließlich handelt es sich um relativ neue Technologien,um sie kommerziell zu nutzen, brauchen die Firmen frische Expertise –und schaffen dafür neue Positionen. „Solche Anwendungen entwickelnsich immer weiter, die Einsatzmöglichkeiten werden breiter. Gleichzeitigsind Experten für AR und VR schwer zu finden – was auch generell für IT-Fachkräfte gilt“, weiß Sabine Bothe, Chief HR Officer von Magenta Tele-kom.
Künstliche Welten lassen den Jobmotor anspringen. „Die Technologiensind für verschiedenste Branchen attraktiv – von der Architektur über Coa-ching in der HR bis hin zu Medizin. Hier sind künftig Profis gefragt, sprichVR Experience Designer. Sie kreieren Erlebnisse, die neues Verhalten oderbestimmte Reaktionen bei Konsumenten auslösen“, erläutert StefanSchwaha, Head of Innovation bei der Digital-Agentur ambuzzador.
Freilich bleiben all diese Anwendungen ohne Qualifikation nur schöneTheorie. Mitarbeiter im Bereich VR und AR müssen wie alle IT-Auskennerein flexibles Bündel an Fertigkeiten vorweisen. Bothe: „Es muss Bereit-schaft bestehen, in die Telekom-Domäne einzutauchen. Andererseits gehtes um Expertise, eine Industrie durch Technologie neu zu gestalten undfrische Ideen für kundenzentrierte Lösungen zu finden. Wer sich damit be-schäftigt, sollte auch bei gesellschaftlichen Trends am Puls der Zeit sein.Nur so können Experten der zunehmenden Anforderung des Berufsbildeseinen Schritt voraus sein.“
Use-Cases gibt es mittlerweile in steigender Zahl, immer mehr Betriebeloten Optionen aus. Amazon bietet beispielsweise ein trendiges fotorealis-tisches Shopping-Service: Im Online-Showroom können Kunden ihr virtu-elles Wohnzimmer mit Sesseln, Sofas, Bildern, Teppichen oder Couchti-schen ausstatten. So erhält der Nutzer vor dem Kauf eine leise Ahnung,ob der gelbe Ohrensessel in das traute Heim passt.
Populäres Gaming
Vielleicht lässt sich gleich eine Spielecke einrichten. Denn Virtual Realitywird auf dem Gaming-Sektor immer populärer. Kein Wunder: Die Spiele-branche war ja einer der First Mover, der diese Technologie für sich zu nut-zen wusste. Die Jobs für Developer gewinnen hier weiter an Boden, auchdurch die wachsende Zahl von öffentlichen Locations mit VR-Bezug. Das„Virtual Reality Vienna“ bietet beispielsweise bis zu 16 Besuchern die rich-tige Ausrüstung und viele abenteuerliche Spiele, geeignet für Anlässe vonder Geburtstagsparty bis zum Teambuilding.
„Jede neue Industrie bringt neue Jobchancen. Nötig sind Personen, diediese neuen Anforderungen umsetzen können“, betont Igor Mitric, COOvon Cybershoes. Was ebenso auf VR-Accessoires zutrifft. Hier warten wei-tere Aufgaben für smarte Köpfe. Cybershoes werden mittels Bindung wiebei Snowboards an normalen Schuhen befestigt. Dann setzt der User dasHeadset auf, besteigt den 360°-Drehstuhl und vollzieht wie im richtigenLeben jegliche Bewegungen während Spielen oder anderer artifiziellerAusflüge. Wer sie trägt, streicht damit sitzend über den Boden und imitiertnatürliche Gehbewegungen – bleibt aber physisch an Ort und Stelle. Fürden Anwender wirkt das so, als würde er tatsächlich laufen. Zusätzlichbleiben die Hände frei. Der User kann sogar virtuelle Gegenstände aufhe-ben.
Die Maschine lernt eigenhändig
Sollte später Lust auf eine Plauderei mit elektronischen Personen beste-hen, sind Alina, David und Luka eine Option. Jene Akteure veranschauli-chen, wie facettenreich die künstliche Materie bereits ist. Es handelt sichum sogenannte virtuelle Agenten, die im „Virtual Call Center Team“ desSprachsystemspezialisten Spitch arbeiten. Im Rahmen dieser Lösung sol-len diese drei Kollegen in Telefonzentralen einen Teil der Aufgaben selbst-ständig erledigen. Luka hebt ab und kommuniziert in natürlicher Sprache,David überprüft die Identität der Anrufer, während Alina die Qualitätssi-cherung besorgt. Das Team soll rund um die Uhr bis zu 300 Gesprächegleichzeitig führen können.
Der Fleiß dieser Sprachcomputer basiert auf künstlicher Intelligenz. Mit-tels Machine Learning erfolgt das Training für den Umgang mit Fachbe-griffen der jeweiligen Industrie. Die Einarbeitungszeit im Betrieb beträgtdrei bis vier Monate. Spitch verspricht durch den Einsatz des Talk-Triumvi-rats mehr Effizienz und höhere Kundenzufriedenheit, wenn der Anruferbei einem cleveren Ansprechpartner landet, der ihn nicht mit Unwissen-heit nervt.
Trotz dieser pflegeleichten neuen Angestellten-Spezies ist künstlicheWirklichkeit keine heile Arbeitswelt. In 880 Reisebüros von Thomas Cookhatten Kunden die Gelegenheit, anvisierte Destinationen via Datenbrillevor dem Packen der Koffer zu erleben. Solche Fernwehgefühle als sanfteBuchungsmotivation wurden von der Realität eingeholt: Der Veranstalterist in die Pleite geschlittert, trotz innovativer Technologien. Für IT-Profisgeht der digitale Zukunftstrip jedoch weiter.
Foto: Marlena König
Sabine Bothe,
Chief HR Officer beiMagenta Telecom
Foto: Juergen Hammerschmid
Stefan Schwaha, Headof Innovation beiambuzzador
3 FRAGEN AN ...
Helmut Krämer,
XR Evangelist und SeniorConsultant von IT-DienstleisterTieto Austria
Welche VR- und AR-Anwendungen sind in derIndustrie heute bereits relevant?
Krämer: Durchgesetzt haben sich AR-Smartphone-Anwendungen. Auch für Trainingszwecke und Lehr-lingsausbildung gibt es Anwendungsfälle. So wiejene Lösung, die Tieto mit dem IndustriebetriebGreiner umgesetzt hat. Jene Mixed-Reality-Anwen-dung für die Microsoft-HoloLens-Brille ermöglichtLehrlingen virtuelle Maschinenrundgänge. RemoteAssistant, die Fernunterstützung durch einen Spe-zialisten, gewinnt ebenso an Bedeutung. Unum-gänglich ist künftig auch eine Verknüpfung von ARund VR mit künstlicher Intelligenz.
Wie profitieren Unternehmen von derTechnologie?
Da AR und VR bei Ausbildung und Lösung komple-xer Herausforderungen unterstützt, kann schnellerund effizienter gearbeitet werden. Auch bei derQualitätssicherung lässt sich großes Potenzial fest-stellen. Für Unternehmen bedeutet dies möglicheProduktivitätssteigerungen und einen Marktvorteil.
Was erwarten Recruiter von Spezialisten auf demGebiet der künstlichen Welten?
Neben fundiertem Wissen werden ebenso Kennt-nisse im Industrie-Umfeld wie 3-D-Modelle benö-tigt. Auch Erfahrung im Bereich künstlicher Intelli-genz ist vorteilhaft. Mit der Entwicklung neuer in-dustrieller Anwendungen steigt auch der Bedarf anSpezialisten in diesem Bereich.
Auf dem 360°-Drehstuhlfühlt sich jeder Schrittwie echt an – mit demrichtigen Schuhwerk.
Im zweiten Semester dieses berufsbegleitenden Master-Studiums findet die Lehrveranstaltung „Augmented Reali-ty“ statt. Grundlagen, Algorithmen und Applikationen wer-den im theoretischen Teil erläutert. Der Praxisteil umfasstThemen wie AR-Hardware, Unity-Programmierung oderden Umgang mit einem AR-Softwarepaket.
Twinmotion: Echtzeit-Architektur-Visualisierung mit VR
Der Kurs vermittelt Kenntnisse zur Benutzeroberflächeder Software Twinmotion und befasst sich mit dem Impor-tieren von 3-D-Objekten genauso wie mit dem Erstellenvon Gelände oder Landschaften. Mit der umfangreichenBibliothek können Designer Materialoberflächen verän-dern und verschiedene Optiken ausprobieren.
Zielgruppe sind technikaffine Kreative und Künstler mitInteresse an interdisziplinären Schnittstellen, die eineAusbildung suchen, die mehr abdeckt als traditionelleSparten. Es geht nicht nur um immersive Technologien,sondern welche Geschichten damit transportiert werden.Der Nutzen liegt darin, dass Teilnehmer vernetztes Den-ken lernen.
Der Master-Studiengang vermittelt technisches, wirt-schaftliches und rechtliches Know-how für die Entwick-lung von Computer- und Videospielen. Damit werden Teil-nehmer auf die Berufsfelder Game Development undGame Design ebenso vorbereitet wie auf das eher wirt-schaftlich orientierte Game Producing sowie Computersi-mulation oder Visualisierung.
Der Lehrgang richtet sich an Klinische Psychologen undPsychotherapeuten. Das Ziel ist einerseits theoretischesWissen, etwa über Erkenntnisse aus der Hirnforschungzur Behandlung mit virtuellen Bildern. Andererseits wer-den technische Möglichkeiten erläutert – von Entspan-nungsprogrammen bis zu interaktiven Anwendungen,etwa gegen Angststörungen.
Der berufsbegleitende Lehrgang widmet sich der Theorie,Gestaltung und gesellschaftlichen Bedeutung von Games.Ermöglicht wird ein praxisorientierter und akademischfundierter Zugang zur Welt der Spielewissenschaft, etwafür Personen, die in der Entwicklung oder Produktion vonmultimedialen Bildungs- und Kommunikationsangebotentätig sind.